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SRI AUROBINDO
Übersetzt von Theodora Karnasch aus "Thought and Glimpses" - Sri Aurobindo Birth Centenary Library, Vol.16 - "The Supramental Manifestation and Other Writings" Copyright by Sri Aurobindo Ashram-Trust, Pondicherry, Indien 1977
WENN wir über Kenntnisse hinausgegangen sind, werden wir Erkenntnis haben. Denken war der Helfer; Denken ist die Schranke. Wenn wir über das Wollen hinausgegangen sind, werden wir Macht haben. Anstrengung war der Helfer; Anstrengung ist die Schranke. Wenn wir über die Freuden hinausgegangen sind, werden wir Seligkeit haben. Verlangen war der Helfer; Verlangen ist die Schranke. Wenn wir über das Persönliche hinausgegangen sind, werden wir Person werden. Ego war der Helfer; Ego ist das Hindernis. Wenn wir über das Menschliche hinausgegangen sind, werden wir Mensch werden. Das Animalische war der Helfer; Das Animalische ist das Hindernis. Verwandle Denken in ungestörte Intuition; sei ganz Licht: Das ist dein Ziel. Verwandle Anstrengung in gleichmäßiges und souveränes Ausströmen von Seelenkraft; sei ganz bewusste Kraft: Das ist dein Ziel. Verwandle Freuden in gleichbleibende und gegenstandslose Ekstase. sei ganz Seligkeit: Das ist dein Ziel. Verwandle die Einzel-Persönlichkeit in die Welt-Persönlichkeit; sei ganz das Göttliche: Das ist dein Ziel. Verwandle das Tier in den Hirten der Herde; sei ganz Krishna: Das ist dein Ziel. - 1 - Was ich jetzt noch nicht tun kann, weist hin auf das, was ich später tun werde. Alle Möglichkeit beginnt mit dem Bewusstsein der Unmöglichkeit. Weil diese Schöpfung in der Zeit paradox und unmöglich war, schuf sie der Ewige aus seinem Sein. Das Unmögliche ist nur die größere Summe des unverwirklichten Möglichen. Es verschleiert kommende Entwicklungsstufen und noch unbeendete Reisen. Willst du den Fortschritt der Menschheit, dann bekämpfe alle Vorurteile. Wird so das Denken gebrochen, erwacht es und wird schöpferisch. Andernfalls erschöpft es sich in mechanischer Wiederholung und hält das für wahre Tätigkeit. Für die menschliche Seele gibt es nicht nur die Möglichkeit, um sich selbst zu kreisen, sondern auch noch die, um die Sonne einer unerschöpflichen Erleuchtung zu kreisen. Zuerst sei dir deiner selbst bewusst, dann erst denke und handle. Jeder lebendige Gedanke ist eine Welt im Werden; jede wirkliche Tat ein sichtbar werdender Gedanke. Die materielle Welt existiert, well eine Idee im göttlichen Selbstbewusstsein zu spielen begann. Denken ist weder notwendig für das Dasein, noch ist es seine Ursache; aber es ist ein Instrument des Werdens: Ich werde, was ich in mir sehe. Alles, was Denken mir eingibt, kann ich tun; alles, was Denken mir enthüllt, kann ich werden. Daran sollte der Mensch unerschütterlich glauben, denn Gott wohnt in ihm. Unsere Aufgabe ist es nicht ewig zu wiederholen, was bereits getan wurde, sondern neue Realisationen und noch ungeträumte Meisterschaften zu erreichen. Zeit, Seele und Welt sind unser Spielfeld; Vision, Hoffnung und schöpferische Einbildungskraft unsere Triebkraft; Wille, Denken und Arbeiten unsere alles bewirkenden Werkzeuge. - 2 - Und was ist das Neue, das es zu verwirklichen gilt? Liebe, denn bis jetzt haben wir nur Hass oder Selbstbefriedigung zustandegebracht; Erkenntnis, denn bis jetzt haben wir es nur bis zu Irrtümern, Wahrnehmungen und Auffassungen gebracht; Seligkeit, denn bis jetzt haben wir uns nur in Genuss, Leiden und Gleichgültigkeit geübt; Macht, denn bis jetzt haben wir nur Schwäche, Anstrengung und vernichtende Siege kennengelernt; Leben, denn bis jetzt haben wir nur Geburt, Wachsen und Sterben geübt; Einheit, denn bis jetzt haben wir nur Krieg und Verbündung geschafft; Kurz, Göttlichkeit: uns wieder zum Bilde Gottes zu machen. - 3 -
WENN DAS GÖTTLICHE nur eine unpersönliche Abstraktion wäre, die die offensichtliche Tatsache unserer greifbaren Existenz auf ewig verneinte, dann wäre es folgerichtig, wenn die Materie schließlich aufhörte zu sein. Aber da gibt es noch Liebe, Seligkeit und Selbst-Bewusstsein. Das Universum ist nicht bloß eine mathematische Formel, die gewisse mentale Begriffe, genannt Zahlen und Prinzipien, zueinander ins Verhältnis setzt um letztlich bei Null oder einem leeren Einen zu enden; noch ist es lediglich eine physikalische Operation, die ein gewisses Kräftespiel darstellt. Es spiegelt vielmehr wider das Entzücken eines In-sich-selbst-Verliebten, das Spiel eines Kindes und die endlose Selbst-Vervielfältigung eines Dichters, der von der Lust an seiner eigenen unversiegbaren Schöpferkraft berauscht ist. Wir mögen den Höchsten würdigen als einen Mathematiker, der ein kosmisches Ganzes in Zahlen ausdrückt, oder als einen Denker, der ein Problem experimentell Iöst, indem er Prinzipien gegenüberstellt und in ein Kräftegleichgewicht bringt; wir sollten aber auch dem Liebenden huldigen, dem Komponisten weltumspannender und verschiedenartigster Harmonien, dem Kinde, dem Dichter. Gott ist nicht nur Gedanke, er ist auch ganz Seligkeit: Ideen, Kräfte, Daseinsformen und Prinzipien sind schlaffe Segel, wenn sie nicht voll sind vom Atem seiner Seligkeit. Dies alles sind Bilder, aber alles ist Bild. Abstraktionen vermitteln uns die reine Idee der Wahrheiten Gottes; Bilder schenken uns ihre lebendige Wirklichkeit. Wenn Idee, sich der Kraft vermählend, die Welten zeugte, dann zeugte Seligkeit des Seins die Idee. Weil das Unendliche unermesslicher Seligkeit trächtig war, verkörperten sich Welten und Universen. - 4 - Bewusstsein und Seligkeit des Seins sind vor allem Anfang und jenseits allen Endes. In der Zwischenzeit liegt das Bewusstsein lediglich in Ohnmacht oder im dunklen Schlaf der Unbewusstheit. Und Schmerz und Selbstauslöschung werden geboren aus der Seligkeit eines Wesens, das nur vor sich selbst davonläuft, um sich irgendwoanders und irgendwieanders wiederzufinden. Die Seligkeit des Seins unterliegt nicht der Zeit: sie kennt weder Anfang noch Ende. Gott tritt lediglich aus einer Form heraus, um in eine andere einzugehen. Schließlich: was ist Gott? Ein ewiges Kind, das ein ewiges Spiel in einem ewigen Garten spielt. - 5 -
GOTT kann nicht aufhören, sich der Natur zuzuneigen, noch kann der Mensch davon ablassen, sich nach dem Göttlichen zu sehnen. Das ist die ewige Beziehung zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen. Wenn sie sich voneinander abzuwenden scheinen, so nur, um sich desto inniger wieder begegnen zu können. Im Menschen wird die Weltnatur sich ihrer wieder selbst bewusst, so dass sie mit größerem Schwung zu dem aufbricht, dessen Freude sie ist; der sich ihrer erfreut, den sie in sich trägt, ohne es zu wissen, den Leben und Gemüt verleugnen, und - ihn verleugnend - suchen, obwohl sie ihn besitzen. Die Weltnatur kennt Gott nur deshalb nicht, weil sie sich selbst nicht kennt; wenn sie sich selbst erkennen wird, wird sie die ungetrübte Seligkeit des Seins erkennen. Das Geheimnis liegt darin sich nicht im Einssein zu verlieren, sondern sich im Einssein zu gewinnen. Gott und Mensch, Diesseits und Jenseits werden eines, wenn sie sich gegenseitig erkennen. Ihre Entzweiung verursacht Unwissenheit, Unwissenheit aber verursacht Leiden. Aus dem Dunkel seiner physischen Natur sucht der Mensch zunächst ganz blind nach seinem göttlichen Selbst und weiß nicht einmal darum. Selbst wenn er anfängt zu sehen, ist er noch lange geblendet von dem Licht, das in ihm wachst. Gott antwortet seinem Rufen ebenfalls im Dunkel; er geht auf ihn zu und hat seine Freude am Blindekuhspiel des Menschen wie eine Mutter an dem tollpatschigen Tappen ihres Kindes, das nach ihr greift. Gott und die Natur sind wie Jüngling und Mädchen im Spiel der Liebe: Sich erblickend, verstecken sie sich und fliehen einander gar, damit sie sich suchen und jagen und schließlich fangen können. Der Mensch ist Gott, der sich vor der Natur verbirgt, um sie durch hartnäckigen Kampf und gewaltsame Überrumpelung erobern zu können. Gott ist der universale und transzendente Mensch, der sich vor seiner eigenen Wesenheit im menschlichen Wesen verbirgt. - 6 - Das Tier ist der Mensch, der sich in Fell gekleidet hat und auf vier Beinen geht; der Wurm ist der Mensch, der sich windend und kriechend auf die Entwicklung seines Menschseins zubewegt; selbst die ursprünglichsten Bildungen der Materie sind der Mensch in seinem sich bildenden Körper. Alle Dinge sind Mensch, sind Seele, sind Puruscha. Denn was ist der Mensch? Eine unerschaffene und unzerstörbare Seele, die sich aus ihren eigenen Elementen, Körper und Geist ein Haus gebaut hat. - 7 -
WENN Gott und Mensch sich begegnen, tritt das Göttliche in den Menschen ein und durchdringt ihn ganz und gar; der Mensch aber geht in der Gottheit auf. Doch kommt dieses Aufgehen nicht einer Vernichtung gleich. Nicht in der Auslöschung erfüllt sich all dieses Suchen und Verlangen, dieses Leiden und diese Verzückung. Wenn das sein Ende wäre, hatte das Spiel niemals begonnen. Seligkeit ist das Geheimnis. Lerne reine Seligkeit kennen und du wirst Gott kennenlernen. Was also war der Anfang aller Dinge? Dasein, das sich aus reiner Freude am Sein vervielfältigte und in Millionen und abermals Millionen von Formen stürzte, um sich selbst unzählbare Male wiederzufinden. Und die Mitte? Teilung, die um die Einheit in der Vielheit kämpft, Unwissenheit, die sich zu einer Flut regenbogenfarbigen Lichtes hinmüht, Leiden, das für die Berührung mit unvorstellbarer Seligkeit schult. Denn all das sind dunkle Zustände und widernatürliche Schwingungen. Und was wird das Ende sein? Wie wenn Honig, der sich selber und doch auch jeden seiner Tropfen kosten konnte, und alle seine Tropfen könnten einander und doch auch die ganze Honigwabe als sich selbst genießen, das könnte wohl das Ende sein von Gott, der Menschenseele und dem Weltall. Liebe ist der Grundton, Freude die Musik, Macht die Melodie, Wissen der Künstler, das unendliche All der Komponist und das Auditorium. Wir kennen nur die voranfänglichen Dissonanzen, die so schrill sind, wie die Harmonie allumfassend groß sein wird. Ganz sicher aber werden wir zur Fuge der göttlichen Seligkeit gelangen. - 8 -
ALLE Welt sehnt sich nach Freiheit, und doch ist jedes Geschöpf in seine Ketten verliebt; das ist der Widerspruch, der unentwirrbare Knoten in unserer Natur. Der Mensch ist in die Bande der Geburt verliebt; deshalb ist er gefesselt mit dem Zwillingsband des Todes. In diesen Banden sehnt er sich nach der Freiheit seines Wesens und der Meisterung seiner Selbst-Erfüllung. Der Mensch ist in die Macht verliebt; deshalb ist er der Ohnmacht ausgeliefert. Denn die Welt ist ein Meer von Kraftwellen, die ständig aufeinanderprallen. Wer auf dem Kamm nur einer Welle reiten will, muss ohnmächtig den Anprall hundert anderer erleiden. Der Mensch ist in das Vergnügen verliebt; deshalb muss er das Joch von Kummer und Schmerz erdulden. Doch was im Menschen dem Vergnügen nachjagt, ist eine quälende, sich aufreibende Kraft, und unvermischte Seligkeit wird nur der freien, leidenschaftslosen Seele zuteil. Den Menschen verlangt es nach Ruhe, aber er dürstet auch nach den Erfahrungen eines rastlosen Denkens und eines verwirrten Herzens. Freude gilt seinem Denken als Fieber, Ruhe als Trägheit und Monotonie. Der Mensch ist in die Begrenztheit seines leiblichen Daseins verliebt, und doch verlangt ihn gleichzeitig nach der Freiheit seines unendlichen Geistes und seiner unsterblichen Seele. Und etwas in ihm fühlt sich von diesen Gegensätzen seltsam angezogen; seiner Meinung nach machen sie die künstlerische Vollendung des Lebens aus. Nicht nur der Nektar reizt seine Neugier und seinen Geschmack, sondern auch das Gift. - 9 - All diese Dinge haben ihren Sinn und all diese Widersprüche ihre Aufklärung. In jeder Wahnsinnskombination der Natur waltet Methode, und auch ihre unentwirrbarsten Knoten können gelöst werden. Durch den Tod erinnert die Natur das Leben ständig daran, dass es sich selbst noch nicht gefunden hat. Ohne den Tod wäre alle Kreatur für immer an eine unvollkommene Form des Lebens gebunden. Vom Tode belagert, erwacht sie zu der Idee eines vollkommenen Lebens und sucht nach den Mitteln, es zu ermöglichen. In gleicher Weise werden die Kräfte, die Energien und die Größe, deren wir uns rühmen, durch unsere Ohnmacht in Frage gestellt und gemessen. Macht ist eine Maßeinheit im Spiel des Lebens, die seinem Ausdruck den Wert verleiht, Ohnmacht eine Maßeinheit im Vorfeld des Todes, der das Leben in seinen Regungen verfolgt und die Grenzen seiner erworbenen Energie betont. Durch Schmerz und Kummer erinnert die Natur die Seele daran, dass die Freuden, die sie genießt, nur ein schwacher Hinweis auf die wirkliche Seligkeit des Daseins sind. Jedem Schmerz, den wir erfahren, und jeder Qual, liegt geheimnisvollerweise eine Flamme der Verzückung zugrunde, mit der verglichen unsere größten Freuden nichts als schwache Funken sind. Dieses Geheimnisses wegen üben die großen Prüfungen, die Leiden und die erschütternden Erfahrungen des Lebens, die der Nervenverstand in uns scheut, und vor denen er zurückschreckt, Anziehungskraft auf die Seele aus. Die Ruhelosigkeit und die schnelle Erschöpfbarkeit unseres aktiven Wesens und seiner Instrumente sind ein Hinweis der Natur darauf, dass Ruhe unser wahres Fundament, Erregtheit aber eine Krankheit der Seele ist; die Sterilität und Monotonie bloßer Ruhe aber ist ihr Hinweis darauf, dass auf dieser festen Grundlage das Spiel der Aktivitäten das ist, was sie von uns fordert. Gott spielt immer und ist nie in Nöten. Der begrenzte Leib bildet ein Gefäß, in das sich Seele und Geist ergießen, das sie zerbrechen und - es ständig erweiternd - neuformen müssen, bis seine Endlichkeit und ihre eigene Unendlichkeit übereinstimmen. - 10 - Freiheit - geheime Herrin der Natur - kennzeichnet unser Wesen in seiner unbegrenzbaren Einheit, Dienen dagegen in seiner Liebe, die sich freiwillig verschenkt, dem Spiel seiner anderen Selbste in der Vielheit zu dienen. Wenn aber die Freiheit in Ketten wirkt und Dienen von der Macht gefordert wird, statt aus der Liebe strömen zu dürfen, dann ist die wahre Natur der Dinge entstellt, und Falschheit regiert die Beziehungen der Seele zum Leben. Die Natur spielt aus dieser Entstellung heraus alle Kombinationen durch, die sich aus ihr ergeben können, bevor sie sich richtigstellen lässt. Dann aber entwickelt sie aus dem Wesentlichen aller Kombinationen eine neue und reiche Harmonie von Liebe und Freiheit. Freiheit erwächst aus einem Einssein, dem keine Grenzen gesetzt sind; denn das entspricht unserem wahren Wesen. Wir können dieses Einheitsbewusstsein im wesentlichen in uns selbst erwirken, und wir können es im Spiel des Einswerdens mit allen anderen verwirklichen. Diese zwiefache Erfahrung entspricht der vollen Absicht der Seele in der Natur. Einssein mit der Unendlichkeit in uns selbst verwirklicht zu haben, uns dann der Welt zu geben, das ist äußerste Freiheit und absolute Souveränität. Unendlich geworden: Gehören wir nicht mehr dem Tode, denn dann wird das Leben eine Spielform unserer unsterblichen Existenz; Sind wir frei von Schwäche, denn dann sind wir das ganze Meer geworden, das sich der Milliarden Schocks seiner Wogen erfreut; Sind wir frei von Kummer und Schmerzen, denn wir lernen es, uns mit allem in Einklang zu bringen, was wir berühren, und in allem des Daseins Freude an Aktion und Reaktion zu entdecken; Sind wir unbegrenzt, denn der Körper wird zum Spielzeug des unendlichen Geistes und lernt, dem Willen der unsterblichen Seele zu gehorchen; Sind wir befreit vom Nervenfieber unseres Denkwesens und Herzens und doch nicht verurteilt zu Unbeweglichkeit. Unsterblichkeit, Einheit und Freiheit leben in uns und warten nur darauf, von uns entdeckt zu werden; doch um der Freude der Liebe willen wird Gott in uns noch das Viele bleiben. - 11 -
MANCHE halten es für anmaßend, an eine individuelle Vorsehung zu glauben oder sich selbst für ein Instrument in den Händen Gottes zu halten; ich aber meine, dass jeder Mensch ein individuelles Schicksal hat, und ich sehe, dass Gott sich der Hacke des Arbeiters bedient wie auch des plappernden Mundes eines kleinen Kindes. Vorsehung erkenne ich nicht nur in dem, was mich vor dem Schiffbruch errettet, in dem alle anderen umgekommen sind, sondern auch darin, dass meine letzte Rettungsplanke weggespült wird und ich hinausgetrieben werde auf die hohe See, während alle anderen geborgen werden. Die Freude am Siegen ist manchmal geringer als die Anziehungskraft, die das Kämpfen und Leiden auf uns ausüben; trotzdem sollte nicht das Kreuz, sondern der Lorbeer das Eroberungsziel für die menschliche Seele sein. Seelen, die keine Sehnsucht kennen, sind Zeugnisse der Misserfolge Gottes; der Natur aber gefallen sie, und sie vermehrt sie sehr gern, weil durch sie ihr Bestand gesichert und ihre Herrschaft verlängert wird. Nicht die Armen, Unwissenden, Niedriggeborenen und Vernachlässigten bilden die Masse, sondern all die zufriedenen Kleinbürger und Durchschnittsmenschen. Hilf den Menschen, aber mindere nicht ihre Energie; führe und lehre sie, aber achte darauf, dass ihre Initiative und ihre Ursprünglichkeit erhalten bleibt; nimm die Anderen in dich hinein, aber schenke ihnen dafür die volle Göttlichkeit ihrer Natur. Wer das kann, ist Führer und Guru. Gott hat die Welt als Kriegsschauplatz geschaffen und mit dem Trampeln der Kampfenden und dem Gebrüll der großen Schlachten erfüllt. Willst du dir seinen Frieden stehlen, ohne den Preis zu zahlen, den er dafür festgesetzt hat? - 12 - Misstraue dem Erfolg, der endgültig auszusehen scheint; wenn du aber nach dem Erfolg noch viel zu tun findest, dann freue dich seiner und mache weiter; denn die Arbeit ist groß, bevor wir wirkliche Vollkommenheit finden. Es gibt keinen lähmenderen Irrtum als den, eine Zwischenstation für das Ziel zu halten, und an einem Rastplatz zu lange zu verweilen.
Wo auch immer du ein großes Ende siehst, da kannst du sicher sein, dass es einen großen Anfang geben wird. Wo eine riesige und schmerzhafte Zerstörung dein Gemüt erschreckt, tröste es mit der Gewissheit einer weiten und großen Neuschöpfung. Gott ist nicht nur in der kleinen leisen Stimme, er ist auch im Feuer und im Sturm. Je totaler die Zerstörung ist, desto größer sind die Möglichkeiten der Neuschöpfung; aber die Zerstörung ist häufig langsam, langwierig und deprimierend, und der Aufbau lässt sich Zeit oder wird in seinem Siegeslauf gehemmt. Die Nacht kehrt immer wieder und der Tagesanbruch schleppt sich hin, oder der Tag wird nichts als eine missglückte Dämmerung. Verzweifle trotzdem nicht, sondern wache und arbeite. Wer leidenschaftlich hofft, verzweifelt schnell: hoffe nichts und fürchte nichts, sondern habe Vertrauen zu den Absichten Gottes, und baue auf deinen Willen, sie zu erfüllen. Der göttliche Künstler scheint sich oft weder seines Genies noch seines Materials sicher zu sein; wenn er etwas in die Hand nimmt, prüft, weglegt, wieder aufnimmt, erneut wegwirft, um es dann wieder aufzugreifen, sich abmüht und scheitert, und schließlich Stümper - und Flickschusterarbeit liefert. Überraschungen und Täuschungen gehören zu seinem Wirken, bevor alles fertig ist. Was auserwählt schien, wird verworfen, was zurückgewiesen wurde, wird zum Eckstein eines mächtigen Bauwerks. Und hinter allem wacht das sichere Auge eines Wissens, weit größer als unser Verstand, und das leise Lächein einer unendlichen Geschicklichkeit. Gott hat die ganze Zeit zur Verfügung und braucht sich nicht ständig zu beeilen. Er ist sich seines Zieles wie auch seines Erfolges sicher, und er zögert nicht, sein Werk hunderte Male wieder zu zerstören, um es der Vollkommenheit immer näherzubringen. Geduld ist die erste große Lektion, die wir notwendigerweise lernen müssen, aber nicht jene schwerfällige Langsamkeit der Furchtsamen, oder die skeptische, gelangweilte Trägheit der Gleichgültigen oder Schwächlinge, sondern eine Geduld voll ruhiger, gesammelter Kraft, die sich auf die Stunde der schnellen großen Schläge wachsam vorbereitet, deren wenige genügen, das Schicksal zu verändern. - 13 - Warum schlägt Gott so fürchterlich auf seine Welt ein, trampelt auf ihr herum und knetet sie wie Teig, jagt sie so oft in ein Blutbad und in die rote Höllenhitze des Schmelzofens? Weil die Masse der Menschen immer noch ein hartes, rohes und wertloses Erz ist, das anders nicht geschmolzen und geformt werden kann: wie das Material, so das Verfahren. Wenn es sich in edleres und reineres Metall verwandeln lässt, werden auch seine Methoden zarter und sanfter sein, und er wird sie überlegener und leichter einsetzen. Warum wählte oder schuf er gerade dieses Material, wenn er aus einer Unzahl an Möglichkeiten wählen konnte? Wohl weil seine göttliche Vorstellungskraft nicht nur Schönheit, Anmut und Reinheit sah, sondern auch Kraft, Wille und Größe. Schmähe nicht die Kraft noch hasse sie, weil manche ihrer Gesichter hässlich sind, und glaube nicht, dass nur die Liebe Gott sei. Alle wirkliche Vollkommenheit muss etwas vom Stoff des Helden und sogar des Titanen haben. Die größte Kraft aber wird aus der größten Drangsal geboren.
Alles würde sich ändern, wenn der Mensch erst einmal zum Leben aus dem Geiste ja sagen würde; aber die Natur seines Denkens, seines Vitalen und seines Körpers rebelliert gegen das höhere Gesetz. Er ist in seine Unvollkommenheit verliebt. In Wahrheit sind wir Geist, und Denken, Vitales und Leib in ihrer Unvollkommenheit sind seine Masken, sollten aber, vollkommen geworden, seine Gefäße sein. Nur genügt es nicht, aus dem Geiste allein zu leben; das bereitet zwar die Seelen auf den Himmel vor, lässt aber die Erde, wie sie war. Und auch der Kompromiss führt nicht zum Heil. Die Welt kennt dreierlei Revolution: die materielle, die sichtbare Ergebnisse hat, die ethisch intellektuelle, die viel unbegrenzter und fruchtbarer ist, und die spirituelle, die die eigentliche große Saat auswirft. - 14 - Wenn diese dreifache Wandlung sich in völliger Gleichzeitigkeit vollziehen würde, könnte ein vollkommenes Werk entstehen; aber weder das Denken noch der Körper der Menschheit kann einem starken spirituellen Einströmen standhalten: das meiste geht daneben, vom Rest wird der größte Teil noch korrumpiert. Unser Grund muss immer wieder intellektuell und physisch umgepflügt werden, um auch nur eine kleine Ernte aus der großen spirituellen Saat zu erzielen. Jede Religion hat der Menschheit weitergeholfen; das Heidentum vermehrte das Licht der Schönheit, die weite Höhe ihres Lebens, ihr Streben nach vielseitiger Vollkommenheit; das Christentum öffnete ihr die Augen für göttliche Liebe und Nächstenliebe; der Buddhismus zeigte Ihr den Weg der Edlen: weiser, milder und reiner zu werden; Judentum und Islam lehrten, aus religiösem Gewissen zu handeln und eifernd Gott zu dienen; der Hinduismus erschloss ihr die weitesten und tiefsten spirituellen Möglichkeiten. Großes wäre verwirklicht, wenn all diese Gottesvorstellungen einander umarmen und miteinander verschmelzen könnten; aber dem stehen intellektuelles Dogma und Kultegoismus im Wege. Jede Religion hat viele Seelen gerettet, aber keine war bislang imstande, die Menschheit zu spiritualisieren. Denn dazu braucht man nicht Kult oder Glaubensbekenntnis, sondern ein beständiges, allumfassendes Streben nach spiritueller Selbst-Entwicklung. Die Umwälzungen in aller Welt heute sind ihren Ideen und Zielen nach Intellektuell, ethisch und materiell; die spirituelle Revolution wartet noch auf ihre Stunde und kündet sich inzwischen hier und da in einer Springflut an. Bis sie aber da ist, bleiben die anderen unverständlich und alle Interpretationen gegenwärtiger Geschehnisse und Voraussagen über die Zukunft des Menschen eitles Geschwätz. Denn erst die Art und Stärke ihres Ausbruchs wird den nächsten Zyklus der Menschheit bestimmen. - 15 - |